Donnerstag, 26. März 2009

Haben Sie eigentlich einen klaren Behandlungsauftrag?

In sehr vielen Fallsupervisionen kann diese Frage vom Team nicht klar beantwortet werden. Stattdessen verfolgen verschiedene Berufsgruppen oder Personen unterschiedliche Behandlungsaufträge, die sie sich ohne Abstimmung mit dem Patienten und seinem direkten sozialen System selber erteilt haben.

Dabei gibt es in der Psychiatrie genau drei mögliche Auftraggeber:
Den Patienten selber, sein direktes soziales System (Familie, Betreuer in Einrichtungen) und den Staat (PsychKG, Forensik).
Die Behandler dürfen sich (ausser bei direkter Gefahr im Verzug) nicht selber beauftragen.

Kein Wunder, dass im Team Konflikte, Doppelarbeit, aufwändige Abstimmungsprozesse und „problematische, uneinsichtige Patienten“ die knappen Ressourcen an Zeit und persönlicher Energie auffressen.
Es fehlt der rote Faden, an dem sich alle therapeutischen Aktivitäten orientieren können.

Sie fragen sich vielleicht, wie es zu dem Problem der selbst erteilten Aufträge überhaupt kommen kann. Nun, es gibt einen grundlegenden Unterschied zwischen objektiv feststellbaren Symptomen einer Krankheit und subjektiven Beschwerden eines Patienten. Nicht nur in der Psychiatrie fühlen sich Patienten oft nicht mehr behandlungsbedürftig, während aus medizinischer Sicht eine Behandlungsbedürftigkeit weiter besteht. Das gilt bei somatischen Krankheiten (z.B. Bluthochdruck) ebenso wie bei psychiatrischen Krankheiten (z.B. Psychosen).

In der Somatik wird unterstellt, dass der Patient fast nichts über seine Erkrankung und die Behandlung weiss, aber einfach medizinisch „gesund“ werden will. Darum wird er auch weder in die Festlegung des Behandlungsziels, noch in die Festlegung der Behandlungsplanung als Verhandlungspartner auf Augenhöhe einbezogen (siehe auch KTQ Manual 5.0, 1.2 Einschätzung und Planung der Behandlung, die Abshnitte 1.2.3 Festlegung des Behandlungsprozesses und 1.2.4 Integration der Patienten in die Behandlungsplanung).

Was für die Somatik passt, kann man aber nicht unhinterfragt auf die Psychiatrie übertragen. Was Behandlungsziel eines Aufenthaltes sein soll, welche Kriterien für Behandlungsfortschritt verwendet werden und welche Maßnahmen eingesetzt werden sollen ist Verhandlungssache. Jede Behandlung ist ein Unikat! Und das weiss jeder Praktiker.
Klar, dass für die Psychiatrie die DRGs vom Tisch müssen, denn bei gleicher ICD-10 Diagnose kann die Aufenthaltsdauer zwischen zwei Wochen und sechs Monaten schwanken (z.B. bei Borderlinestörungen).
Klar, dass während eines Aufenthaltes mehrere Behandlungsziele verhandelt werden müssen (Beispielsweise beim Übergang von PsychKG in Freiwilligkeit der Behandlung wechselt der Auftraggeber vom Staat zum Patienten und seinem sozialen System).
Klar auch, dass es während des Aufenthaltes nicht zu „auftragslosen Intervallen“ kommen darf.

Die gute Nachricht ist, dass sich schon mit kleinen, kostenlosen Maßnahmen der rote Faden finden lässt. Die geschilderten Probleme können vermieden werden.
Am Anfang jeder Behandlung und über den gesamten Aufenthalt müssen die Antworten auf die folgende Fragen geklärt und für alle bekannt sein:
– Was ist der Behandlungsauftrag?
– Wer ist der Auftraggeber?
– Wie kontrollieren Team und Auftraggeber, ob man auf dem Weg zum Behandlungsziel ist?
Jede Ähnlichkeit mit dem PDCA-Zyklus ist übrigens beabsichtigt.

Prüfen Sie doch mal, ob Sie und Ihre Teammitglieder die oben gestellten Fragen in Bezug auf die Patienten durchgängig klar beantworten können. Und ob die Antworten für jeden auf Anhieb aus der Dokumentation ersichtlich sind.

Wenn nicht, haben Sie dort noch ein Potential um Ressourcen und Energie frei zu setzen und um leichtere Zusammenarbeit im multiprofessionellen Team und mehr Mitarbeiterzufriedenheit zu erreichen.

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