Dienstag, 17. März 2009

Ist der Chefarzt in der Visite Chef oder Arzt?

Die Situation: Neun Uhr ist als Beginn der Chefarztvisite festgelegt worden. Falls der Chef nicht pünktlich kommen kann, sollen die Stationsärzte schon anfangen. Zwei Stunden nach dem festgelegten Beginn der Chefarztvisite kommt der Chefarzt dazu. Er möchte Patienten sehen, die vor einer halben Stunde in der Visite waren. Dann ändert er die Medikation und die Ausgangsregelung und die Wochenendbeurlaubung, die eben erst vereinbart worden sind.

Ergebnis: Die Visite dauert fast zwei Stunden länger als festgelegt. Unmut bei dem Team. Die Pflegekräfte können manche Arbeiten nicht mehr durchführen, weil sie in der Visite präsent sein müssen. Die Stationsärzte müssen länger bleiben um ihre Arbeit fertig zu kriegen. Die Patienten nehmen den Stationsarzt nicht mehr ernst und natürlich wollen die Patienten jetzt erst recht bei allen möglichen Fragen den Chefarzt sprechen.

Wie kommt es zu so einer Situation und wie kann sie in Zukunft vermieden werden?
Der eine Ansatzpunkt für eine Lösung liegt in der Frage nach den Rollen, aus denen gehandelt wird. Der andere Ansatzpunkt liegt im Prozess der Visite.

Die Rolle:
1. Der Chefarzt handelt aus der Organisationsrolle. Dann ist er Vorgesetzter und seine Aufgabe ist es, die Qualität seiner Mitarbeiter zu prüfen und zu fördern. Aus dieser Rolle heraus sind die Mitarbeiter seine Gesprächspartner und nicht der Patient. Er stellt Fragen zu den Überlegungen der Mitarbeiter und gibt Rückmeldungen dazu. Die Behandlungsverantwortung gegenüber dem Patienten bleibt beim behandelnden Stationsarzt.

2. Der Chefarzt handelt aus seiner Professionsrolle. Dann ist er Arzt und seine Aufgabe ist die Behandlung des Patienten. Er legt Behandlung fest, ist für die Medikation verantwortlich etc. Hierbei sind die Mitarbeiter verantwortlich für die qualifizierte Beobachtung der Patienten und die Durchführung der Behandlung. Der Chefarzt ist auf die Informationen der Mitarbeiter angewiesen, weil sie den Patienten über einen längeren Zeitraum beobachten und dadurch den „Film“ sehen. Das Visitengespräch ist ja eher ein „Foto“, das den augenblicklichen Zustand eines Patienten zeigt.

Oft sind beide Rollen in einer Chefarztvisite gefragt. Beispielsweise wenn der Chefarzt seine Privatpatienten selber behandeln möchte, oder bei besonders schwierigen Patienten, oder bei jungen und unerfahrenen Stationsärzten. Es ist nur wichtig, dass alle Beteiligten wissen, wann aus welcher Rolle heraus gesprochen und gehandelt wird.

Der Prozess:
Da die Stationsbesetzungen heute knapper sind und die Arbeit mehr geworden ist, muss die Arbeit stärker strukturiert und terminiert werden. Zeitdisziplin ist notwendig und unverzichtbar. Wenn ein Chefarzt absehen kann, dass er nicht die ganze Zeit an der Chefarztvisite teilnehmen kann, muss vorher von ihm und den Stationsärzten geklärt werden, welche Patienten der Chefarzt auf jeden Fall sehen muss und welche Patienten nicht. Ausserdem ist es sehr nützlich, wenn schon vorher überlegt wird, um welche Fragen es in der Visite bei dem einzelnen Patienten gehen soll. Dadurch wird die Visite effektiver und effizienter. Und Klarheit führt zu mehr Zufriedenheit bei allen Mitarbeitern.

Spielen Unklarheiten in den Rollen und Prozessen auch bei Ihnen eine Rolle?

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